Patientenfall: Reha nach Tibiakopffraktur – vom OP-Tag bis zur Rückkehr in den Sport

04. Nov, 2025

Ein Patientenfall von Christoph Andreas Oratsch

Frakturen des Tibiakopfes zählen zu den komplexeren Verletzungen des Bewegungsapparats. Mit einem Anteil von rund 1 % an allen Frakturen und einer Inzidenz von etwa 10 Fällen pro 100.000 Einwohner pro Jahr handelt es sich um eine seltene, aber klinisch bedeutsame Verletzung.

Je nach Patientengruppe unterscheiden sich die Trauma-Mechanismen deutlich: Bei jüngeren, aktiven Menschen sind Hochrasanz-Traumata häufig — sie passieren etwa beim Skifahren, Mountainbiken, Motorradfahren oder bei Verkehrsunfällen. Ältere Menschen erleiden Tibiakopf-Frakturen dagegen meist durch Niedrigrasanz-Traumata, zum Beispiel durch einfache Stürze aus dem Stand oder beim Gehen auf unebenem Boden.

Die funktionellen Folgen können erheblich sein. Schmerzen, eingeschränkte Mobilität und lange Rehabilitationszeiten führen häufig zu Einschränkungen im Alltag, Beruf und Sport. Ein strukturiertes und individuell abgestimmtes Nachbehandlungskonzept ist daher entscheidend für ein gutes funktionelles Ergebnis.

Patientenfall: Schritt für Schritt zur Genesung und Rückkehr zum Sport

Der folgende Patientenfall, der sich an den aktuellen Empfehlungen der DGOU1 orientiert, illustriert, wie gezielte Rehabilitation, klare Belastungsvorgaben und funktionelle Tests den Weg zurück in den Sport ermöglichen.

Woche 0 – Operation

Ein 45-jähriger Mann erleidet durch einen Sturz beim Skifahren eine Impressionsspaltfraktur des lateralen Tibia-Plateaus mit minimaler Dislokation und ausgeprägtem Gelenkserguss. Präoperativ wird der Erguss punktiert und ein gespaltener Oberschenkelgipsverband angelegt. Die operative Versorgung erfolgt mittels Schraubenosteosynthese und LCP-Platte. Postoperativ wird für sechs Wochen eine bewegliche Knieorthese angelegt. Der initiale Bewegungsrahmen: 0–0–60°. Eine Teilbelastung (TB) von 15–20 kg wird festgelegt. Schmerz- und Thromboseprophylaxe werden eingeleitet. Passive Bewegungen erfolgen über eine CPM-Schiene. Zusätzlich wird frühzeitig mit isometrischer Muskelaktivierung, Spitzfußprophylaxe und Mobilisierung der angrenzenden Gelenke begonnen.

Woche 1–2: Frühphase

In den ersten beiden Wochen liegt der Fokus auf Schwellungsreduktion, Schmerzkontrolle, Beweglichkeitserhalt und Dekubitus- sowie Pneumonie-Prophylaxe. Der Patient trainiert Transfers (Rückenlage–Sitz–Stand) und erhält eine strukturierte Patientenedukation zu Belastungsvorgaben und Eigenübungen. Die Gangschulung erfolgt mit Unterarmkrücken unter Einhaltung der TB mittels Messsohlen und Live-Feedback-App (Stappone). Die Orthese bleibt angelegt und die Beweglichkeit wird schrittweise bis 90° erweitert. Eine Röntgenkontrolle erfolgt nach Entfernung der Drainage.

Woche 3–6: Mobilitätsaufbau unter Teilbelastung

Die Mobilität des Patienten wird kontinuierlich gesteigert, die TB bleibt aber noch bei 15–20 kg. Es folgen aktive und assistive Bewegungen, Muskelaktivierung, Narbenbehandlung und entstauende Maßnahmen. Zudem werden Stabilisationsübungen und Koordinationsansätze integriert. Das Ziel ist, dass dem Patienten ein sicherer Bewegungsablauf bei weiter bestehender Teilbelastung gelingt. Nach Woche 6 erfolgt eine radiologische Kontrolle, die eine stabile knöcherne Situation bestätigt.

Woche 7–12: Belastungssteigerung und Gangschulung

Nach radiologischer Freigabe kann der graduelle Übergang zur Vollbelastung eingeleitet werden. Parallel dazu erfolgt ein Beinachsentraining. Zur weiteren Verbesserung der Mobilität absolviert der Patient ein sensomotorisches Training auf instabilen Unterlagen, ein Koordinationstraining und eine Gangschule. Das Ziel ist ein physiologisches Gangbild bis zur 12. Woche. Die Orthese wird jetzt abgesetzt. Die Thromboseprophylaxe wird hingegen bis zur freien Mobilität fortgeführt.

Woche 13–24: Funktionelle Belastungssteigerung

Der Patient beginnt nun mit einem gezielten Aufbau von Kraft und Ausdauer, beispielsweise mit gerätegestützter Kräftigung, freiem Zusatzgewichtstraining, Koordinationsübungen und Lauf-ABC. Zur objektiven Funktionsbeurteilung unterzieht er sich Return-to-Activity-Tests. Radfahren kann er bereits in der 16. bis 20. Woche wieder aufnehmen. In Woche 24 erfolgt die klinische und radiologische Abschlusskontrolle. Das Bewegungsausmaß beträgt 0–0–130° und der Patient ist beschwerdefrei.

Woche 25–36+: Return to Sport

In dieser Phase kann der Patient wieder sportartspezifisch trainieren, d.h. er kann gering belastende Sportarten steigern und hochbelastende Sportarten nach einer funktionellen Testung wieder aufnehmen. Der Return-to-Activity-Test ergibt einen Limb-Symmetry-Index (LSI) von 90–105 %, die Fraktur ist vollständig konsolidiert. Funktion und Belastbarkeit sind weitgehend wiederhergestellt.

Ab Woche 37: Der Patient kann wieder alle Sportarten, auch den Skisport, ausüben.

Fazit: So kann die Rehabilitation gelingen

  • Ein strukturiertes Behandlungskonzept bietet dem multiprofessionellen Team eine klare Orientierung für die Nachbehandlung. Es sollte zeitliche, funktionelle und belastungssteuernde Ziele festlegen und eine abgestimmte Kommunikation zwischen allen Beteiligten ermöglichen.
  • Gerade bei den Belastungsvorgaben und deren Einhaltung spielt die moderne Sensortechnik eine wichtige Rolle. Sie kann objektive Daten für die Behandlung liefern und somit die Therapietreue und Sicherheit verbessern.
  • Für die Rückkehr zum Sport stehen inzwischen sportartspezifische Testbatterien zur Verfügung, die fundierte Entscheidungen unterstützen können. Prädiktive Aussagen zur Risikoeinschätzung sollten jedoch mit Bedacht interpretiert werden.

Christoph Andreas Oratsch ist Physiotherapeut und Sportphysiotherapeut in Österreich. Er leitet die Physiotherapie am AUVA-Unfallkrankenhaus Klagenfurt am Wörthersee. Darüber hinaus betreut er Spieler verschiedener Teams der österreichischen ICE Hockey League und weitere Profisportlerinnen und -sportler unterschiedlicher Disziplinen sowie Nachwuchsjudoka.

Quellenangabe und Fotonachweise

1 Nachbehandlungsempfehlung 2025 der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU)

Copyright Headerfoto: ultramarinfoto / Getty Images

Copyright Foto / Anlegen der Orthese: Maximilian Skanda

 

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