Lipödem: Was Sport und Bewegung bewirken - und wie die Orthopädie dabei unterstützen kann

14. Mai, 2025

Das Lipödem ist eine sehr belastende chronische Erkrankung, bei der die genetische Veranlagung eine Rolle spielt und fast ausschließlich Frauen betroffen sind. Schätzungen zufolge leiden in Deutschland etwa 10% der weiblichen Gesamtbevölkerung an dieser schweren und schmerzhaften Fettverteilungsstörung, die häufig nicht rechtzeitig erkannt oder mit der Stoffwechselkrankheit Adipositas verwechselt wird. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass Lipödem und Adipositas auch sehr häufig koexistieren und differentialdiagnostisch abgegrenzt werden müssen.

Im Verlauf einer Lipödem-Erkrankung entwickeln sich häufig orthopädische Beschwerden und Erkrankungen wie Arthrose, Knie- oder Bandscheibenprobleme. Die für das Lipödem typische ungleichmäßige Verteilung des Fettgewebes führt dazu, dass bestimmte Gelenke sehr stark belastet werden, was langfristig zu Problemen und Fehlstellungen führen kann.

Die italienische Fachgesellschaft für Sport- und Bewegungswissenschaften SISMeS (Società Italiana di Scienze Motorie e Sportive) und die Italienische Gesellschaft für Phlebologie SIF (Società Italiana di Flebologia) haben gemeinsam in einem Konsensus-Statement von 20241 Empfehlungen zusammengestellt, welche sportlichen Aktivitäten am besten geeignet sind, die Symptome der Erkrankung zu lindern und die Lebensqualität von Lipödem-Patientinnen zu verbessern.

Die Bedeutung von Sport und Bewegung für Lipödem-Patientinnen

Auch wenn das Lipödem – im Gegensatz zu Adipositas – nicht durch Diät und Sport „besiegt“ werden kann, ist körperliche Aktivität für die betroffenen Frauen von großer therapeutischer Bedeutung:

  • Auf biochemischer Ebene verbessert Bewegung beispielsweise die Ausschüttung von Botenstoffen, die Regulation von Entzündungsprozessen, den Energiestoffwechsel sowie den Hormonhaushalt.
  • Auch auf physiologischer Ebene hat Bewegung positive Auswirkungen: Sie kann unter anderem den Lymphfluss anregen, den Blutdruck stabilisieren und den Muskeltonus verbessern.
  • Auf psychologischer Ebene: Nicht zuletzt kann regelmäßige körperliche Aktivität die Stimmung und das Selbstwertgefühl verbessern, depressive Symptome lindern und die Lebensqualität steigern.

Lipödem-Patientinnen in der orthopädischen Praxis: Krankheit erkennen – verstehen – begleiten

Orthopädinnen und Orthopäden sind eine wichtige Anlaufstelle für Lipödem-Patientinnen, denn die Behandlung erfordert ein interdisziplinäres Vorgehen. Aus orthopädischer Sicht heißt das vor allem: Krankheit und Schmerzen ernst nehmen und gezielte, auf die einzelne Patientin zugeschnittene Empfehlungen für sportliche Aktivitäten geben – nicht als alleiniges Heilmittel, sondern als Teil eines ganzheitlichen Konzepts.

Abb.: Die zwei Pfeiler eines Bewegungsplanes für Lipödem-Patientinnen bestehen aus gelenkschonendem Ausdauertraining im Wasser und Krafttraining „auf festem Boden“, mit vielfältigen physiologischen Benefits für die Betroffenen. 

Das Konsensus-Statement empfiehlt hier ein strukturiertes Bewegungstraining mit zwei zentralen Bausteinen:

1. Schonendes Ausdauertraining – idealerweise im Wasser: Schwimmen, Aqua-Jogging oder Wassergymnastik entlasten die Gelenke, regen den Lymphfluss an und wirken positiv auf das Herz-Kreislauf-System. Der hydrostatische Druck fördert den Abtransport von Gewebsflüssigkeit, die thermischen Reize des Wassers wirken abschwellend und schmerzlindernd.

2. Ergänzend sind gezielte Übungen zur Kräftigung der Muskulatur und zur Verbesserung der Beweglichkeit und Koordination essenziell, um das Fortschreiten der Beschwerden zu verlangsamen. Dazu gehören moderates Krafttraining, funktionelle Gymnastik und Beweglichkeitstraining. Diese Übungen helfen auch, die Körperachsen zu stabilisieren – ein wichtiger Aspekt, da die ungleichmäßige Fettverteilung häufig zu Fehlstellungen z.B. im Knie führt. Zusätzlich werden spezielle Beinübungen zur Aktivierung der Wadenpumpe empfohlen, die den venösen Rückfluss unterstützen.

Beide Trainingsformen zusammen – angepasst an das individuelle Beschwerdebild – helfen nicht nur dem Körper, sondern auch der Psyche: Sie steigern das Selbstwert- und Körpergefühl, helfen depressive Verstimmungen zu lindern und verbessern nachweislich die Lebensqualität. Bei der Behandlung sollten daher sowohl die körperlichen als auch die psychischen Aspekte mitgedacht werden.

Fazit

  • Das Lipödem ist eine komplexe Erkrankung mit weitreichenden körperlichen und psychischen Folgen.
  • Eine individuell angepasste Bewegungstherapie kann die Beschwerden lindern: Geeignet sind einerseits gelenkschonende Ausdauersportarten wie Wassergymnastik, andererseits muskelkräftigende und mobilisierende Übungen.
  • Orthopädinnen und Orthopäden spielen dabei eine wichtige Rolle zu: Sie können frühzeitig sensibilisieren, differenzialdiagnostisch unterstützen und motivierende Bewegungsempfehlungen geben.
  • Eine ganzheitliche, einfühlsame Betrachtung der Patientin ist dabei ebenso entscheidend wie die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Lymphologie, Phlebologie und Angiologie.

Quelle

1 Annunziata, G., et al. (2024). The Role of Physical Exercise as a Therapeutic Tool to Improve Lipedema: A Consensus Statement from the Italian Society of Motor and Sports Sciences (Società Italiana di Scienze Motorie e Sportive, SISMeS) and the Italian Society of Phlebology (Società Italiana di Flebologia, SIF). Current Obesity Reports, 13(4), 667–679. https://doi.org/10.1007/s13679-024-00579-8

Fotonachweis: Foto @ yokunen/iStockphoto.com

Interessantes zum Weiterlesen