Karpaltunnelsyndrom – leitlinienbasierte Diagnose und konservative Behandlung

19. Mär, 2024

Das Karpaltunnelsyndrom (KTS) entsteht durch Druck auf den Mittelnerv (N. medianus) im Karpaltunnel der Handwurzel. Das Hauptsymptom ist das Einschlafen der Hände. Es ist das häufigste Engpasssyndrom eines peripheren Nervs, wobei Frauen, Übergewichtige und körperlich arbeitende Menschen am häufigsten betroffen sind. Das KTS tritt meist zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf und betrifft häufig die dominante Hand, kann aber auch beidseitig auftreten. Schwangerschaft, Dialyse, bestimmte repetitive körperliche Tätigkeiten, z.B. von Reinigungskräften, und Krankheiten wie rheumatoide Arthritis und Diabetes erhöhen das Risiko. Auf Basis der S3 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie1 fassen wir die wichtigsten Informationen zu Diagnostik und konservativer Therapie zusammen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Das nächtliche Einschlafen der Hand ist ein nahezu untrügliches und eindeutiges Zeichen für ein KTS.
  • Die elektroneurographische Diagnostik ist die beste Methode, um den zuverlässigen Nachweis zu erbringen, dass ein KTS vorliegt.
  • Als konservative Therapie der ersten Wahl wird das nächtliche Tragen einer Handgelenksschiene empfohlen.
  • Bei anhaltenden und schwereren Ausfallserscheinungen und schmerzhaften Parästhesien soll eine Operation erfolgen.
  • Keine routinemäßige Epineurotomie bei Ersteingriffen.

Wie entsteht ein Karpaltunnelsyndrom?

Die Pathogenese eines KTS beginnt mit einer ödematösen Schwellung der Synovialis; diese Volumenzunahme führt wiederum zu einer Druckerhöhung im Tunnel und einer Nervenkompression. In den meisten Fällen entsteht ein KTS durch eine Überlastung oder eine einseitige Belastung z.B. bei der Arbeit. Seltener wird es durch ein Trauma (z.B. eine Radiusfraktur), eine Handgelenksarthrose oder tumoröse oder tumorähnliche Veränderungen im Handgelenk verursacht. Schlafhaltungen, die das Handgelenk knicken, verschlimmern die Symptome. Auch kann das Syndrom durch anatomische Variationen oder familiäre Veranlagung begünstigt werden.

Die Diagnose stützt sich auf klinische Symptome und elektrodiagnostische Befunde. Eine einheitliche und allgemein akzeptierte Klassifikation des Schweregrades fehlt allerdings bisher. Die Behandlung umfasst konservative Maßnahmen wie Handgelenksschienen und Physiotherapie sowie operative Eingriffe bei schweren Fällen. Für alle Therapien gilt: Frühe Intervention verbessert die Prognose!

Wie äußert sich ein Karpaltunnelsyndrom?

Bei einer leichten Kompression des mittleren Armnervs kommt es anfangs zum typischen Erstsymptom, dem nächtlichen „Einschlafen der Hände“, welches nahezu pathognomonisch für das KTS ist. Im weiteren Verlauf leidet der Patient an häufig schmerzhaften Kribbelparästhesien oder nadelstichartigen Missempfindungen, die anfangs hauptsächlich Mittel- und Ringfinger betreffen, später aber auch in Daumen, Zeigefinger und in den ganzen Arm ausstrahlen. Par- und Dysästhesien treten nicht nur nachts oder morgens auf, sondern auch bei der Verrichtung von Aufgaben des täglichen Lebens.

Oft können die Symptome gelindert werden, indem die Hände ausgeschüttelt, gerieben oder gekühlt werden. Auch helfen Pumpbewegungen mit den Fingern: durch die Aktivierung der Muskelpumpe im Unterarm wird der Rückfluss des venösen Blutes verbessert und der Druck im Karpaltunnel reduziert. Auch die Ruhigstellung des Handgelenks während der Nacht mit Hilfe einer Schiene bzw. Orthese kann Linderung bringen.

Wenn der Patient oder die Patientin über elektrisierende Missempfindungen (z.B. „elektrische Schläge“) oder permanente Missempfindungen (ständiges Kribbeln der Finger) klagt, ist bereits von einer Schädigung des Medianus auszugehen. Jetzt kann es auch zu Ausfallserscheinungen kommen, wie z.B. taube Finger oder die Unfähigkeit, mit den Fingern anspruchsvollere Arbeiten ausführen zu können. Im Spätstadium findet eine Atrophie der speichenseitigen Anteile des Daumenballens statt, was wiederum zu einer Abspreiz- und Oppositionsschwäche des Daumens führen kann. Dies wird vom Patienten meistens nicht bemerkt.

Die Verläufe können aber sehr unterschiedlich sein, bei vielen Patientinnen und Patienten treten nur ab und zu Phasen mit geringen Beschwerden auf. Eine Verschlimmerung der Symptome wird oft in einer Phase manueller Überlastung, in der Schwangerschaft oder nach Verletzungen (z.B. Radiusfraktur) ausgelöst. Andrerseits gibt es aber auch beim unbehandelten KTS spontane Besserungen, Verschlechterungen oder stabile Verläufe.

Begleiterkrankungen des Karpaltunnelsyndroms

Folgende Begleiterkrankungen können bei einem KTS auftreten:

In mehr als 16% bis 43% der Fälle wird ein KTS begleitet von einer Tendovaginosis stenosans ("Schnappfinger") und deren Vorstadien mit vermehrter Morgensteifigkeit der Finger oder schmerzhaftem und unvollständigem Faustschluss. Schnappfinger sind meist behandlungsbedürftig.

Eine begleitende Osteoarthritis erhöht das Risiko einer Tendovaginosis stenosans nach Retinakulumspaltung.

Rheumatoide Arthritis, Akromegalie und die dialysepflichtige Niereninsuffizienz sind potenzielle Begleiterkrankungen. Ein fast doppelt so hohes Risiko für KTS haben Menschen, die unter einer Diabeteskrankheit oder Hypothyreose leiden, oder die längerfristig mit Kortison oder einer postmenopausalen Östrogentherapie behandelt werden.

Klinische Untersuchung

Die AWMF-Leitlinie empfiehlt folgende Untersuchungen:

  • Inspektion und Palpation zur Erkennung einer Muskelatrophie*
  • Prüfung der Oberflächensensibilität und der Stereoästhesie*
  • Prüfung der Motorik, speziell was die Abduktions- und Oppositionsschwäche des Daumens betrifft*
  • Im Rahmen der klinischen Untersuchung können Provokationstests angewendet werden**
  • Für die Dokumentation subjektiver Beschwerden und der funktionellen Beeinträchtigung können Fragebögen (Boston carpal tunnel questionnaire, CTS-6, Visuelle Analogskala) verwendet werden**

*Empfehlungsgrad B, Evidenzgrad 3a, Konsensstärke 100%

**Empfehlungsgrad 0, Evidenzgrad 4, Konsensstärke 100%

Elektrophysiologische Diagnostik

Die elektrophysiologische Diagnostik dient dazu, Verzögerungen bei der Nervenleitgeschwindigkeit des N. medianus zu messen. Bei einer deutlichen Verzögerung kann die KTS-Diagnose gesichert werden.

Hier gibt es vor allem zwei Verfahren, mit denen die Nervenleitgeschwindigkeit des N. medianus gemessen werden kann:

Motorische und sensible Neurographie (Empfehlungsgrad A, Evidenzgrad 4, Konsensstärke 100%): Empfindliche und zuverlässige Methode, die Nervenleitgeschwindigkeit des N. medianus zu messen und damit ein KTS zu diagnostizieren.

Kann mit diesen Messungen keine eindeutige Diagnose gestellt werden, stehen noch intraindividuelle Messungen einzelner Nervensegmente zur Verfügung.

Elektromyographie (Empfehlungsgrad 0, Evidenzgrad 4, Konsensstärke 100%): Diese aufwändige Messung wir nur zur Sicherung einer axonalen Läsion angewandt, oder wenn zusätzliche, schwierige oder pathologische Bedingungen es erforderlich machen.

Die Autoren der Leitlinie weisen darauf hin, dass man sich aber nicht allein auf die neurographischen Befunde stützen sollte, vor allem wenn die klinische Symptomatik eigentlich nicht zu einem KTS passt. Außerdem sei es wichtig, dass unter einheitlichen Untersuchungsbedingungen und mit entsprechend geeichten Instrumenten gemessen wird, und dass der oder die Untersuchende über die notwendige Expertise verfügt.

Andere Verfahren wie z.B. MRT oder CT scheinen laut der Leitlinien für die Diagnose eines KTS weniger geeignet, so gibt es nur eine schwache Empfehlung mit geringer Evidenz für eine MRT- oder CT-Untersuchung.

Ausnahmen:

  • Bei Tumorverdacht ist eine MRT zu empfehlen.
  • Bei Verdacht auf Arthrose bzw. knöcherne Veränderungen im Handgelenk kann eine Röntgennativuntersuchung durchgeführt werden.
  • Die Sonographie kann bei ungeklärtem Befund ergänzende Informationen liefern.
  • Die häufigsten Differentialdiagnosen sind zervikale Radikulopathie der Wurzeln C6 und C7 und Neuropathie.

In welchen Fällen soll ein Karpaltunnelsyndrom behandelt werden?

Die Leitlinie gibt dazu folgenden Hinweis:

  1. Hat eine Patientin oder ein Patient häufig auftretende oder anhaltende typische Beschwerden? Dann ist das KTS behandlungsbedürftig!
  2. Gibt es aber lediglich einen positiven elektrophysiologischen Befund, aber keine klinischen Symptome, besteht keine Behandlungsbedürftigkeit!

Therapieempfehlungen bei KTS

Die Leitlinie gibt folgende Empfehlungen zur Therapie des KTS:

  • Im Frühstadium mit leichten Reizsymptomen soll ein konservativer Behandlungsversuch erfolgen (Expertenkonsens, „good clinical practice“).
  • Als konservative Therapie soll eine Handgelenksschiene in der Nacht getragen werden (Empfehlungsgrad A, Evidenzgrad 1a, Konsensstärke 100%).
  • Als konservative Therapie kann des Weiteren eine orale Glukokortikoid-Therapie erfolgen (Empfehlungsgrad 0, Evidenzgrad 1a, Konsensstärke 85%).
  • Als weitere konservative Therapie kann eine ultraschallgesteuerte, lokale Infiltration von Kortikoid-Kristallsuspension in den Karpaltunnel erfolgen (schwache Empfehlung).
  • Des Weiteren kann ein Versuch mit einer Low-Level-Laser-Therapie unternommen werden (schwache Empfehlung).

Fazit

Das Karpaltunnelsyndrom (KTS) ist eine Erkrankung, die durch Druck auf den Nervus medianus im Karpaltunnel ausgelöst wird. Ein untrügliches und nahezu pathognomonisches Symptom ist das nächtliche Einschlafen der Hand. Zur sicheren Diagnosestellung wird eine elektroneurographische Diagnostik empfohlen.

Liegt ein KTS vor, soll das Handgelenk in der Nacht in einer neutralen Position gehalten werden, um den Druck auf den Nerv zu verringern. Dies geschieht am besten mit dem nächtlichen Tragen einer Handgelenksorthese.

Bei anhaltenden und schwereren Symptomen, Ausfallerscheinungen und schmerzhaften Missempfindungen wird eine Operation empfohlen, um den Druck auf den Nerv zu entlasten. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass bei Ersteingriffen keine routinemäßige Epineurotomie durchgeführt werden sollte.

Literatur

1AWMF-Register Nr. 005/003, Klasse: S3. Diagnostik und Therapie des Karpaltunnelsyndroms S3 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie, Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie, Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie. Update (revidierte Fassung), Stand 31.01.2022

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