Stellenwert der Sonografie bei kindlichen Verletzungen im Praxisalltag – Interview mit Kinderchirurg Dr. Mortazawi

01. Mär, 2024

OPED: Herr Dr. Mortazawi, Sie sind Facharzt für Kinder- und Jugendchirurgie, was fasziniert Sie an dieser Aufgabe und was hat Sie dazu bewogen, diesen Fachbereich einzuschlagen?

Dr. Mortazawi: Ich komme zwar ursprünglich aus der Erwachsenchirurgie, aber mein großes Interesse galt von Anfang an auch der Behandlung von Kindern, daher habe ich bewusst eine Klinik ausgewählt, in der sowohl Erwachsene als auch Kinder versorgt wurden. So lernte ich von Beginn an mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, was eine besondere und schöne Aufgabe ist. Besonders fasziniert mich die Feinheit beim Operieren. Die Arbeit ist außerdem sehr abwechslungsreich, allein schon durch das breite Spektrum, das wir Kinderchirurgen abdecken: von der Unfall-, Viszeral- und Fehlbildungschirurgie über die Neuro- und Gefäßchirurgie bis hin zur Tumorchirurgie.

OPED: Was sind die Besonderheiten in der Diagnostik bei Kindern?

Dr. Mortazawi: Diagnostisch gibt es Unterschiede zur Erwachsenenmedizin, zum Beispiel arbeiten wir sehr viel mit Ultraschall. Vor über 10 Jahren bin ich durch eine Übersichtsstudie auf die vielfältigen Möglichkeiten der Sonografie gestoßen, die gerade bei Kindern sehr hilfreich sein kann und Röntgenaufnahmen teilweise überflüssig macht. Gerade das Thema Röntgenstrahlen ist vor allem für die Eltern sehr wichtig, die natürlich möglichst jegliche Röntgenuntersuchungen vermeiden wollen. Inzwischen habe ich die Sonografie voll in meinen Arbeitsablauf integriert und gebe mein Wissen auch in Vorträgen an jüngere Kolleginnen und Kollegen weiter. In der Vergangenheit war der Einsatz der Röntgenuntersuchung bei der Beurteilung von knöchernen Verletzungen sicherlich ein Muss, das hat sich zum Glück in vielen Situationen geändert.

OPED: Worum geht es in Ihren Vorträgen über Ultraschall bei Kindern genau?

Dr. Mortazawi: Ich möchte vermitteln, dass die Sonografie zum einen für die Beurteilung der knöchernen Strukturen angewendet werden kann, und zum anderen auch für die Darstellung sekundärer Verletzungszeichen wie Hämatome, Weichteilverletzungen oder ligamentäre Verletzungen. Im Kindesalter treten auch häufig Frakturen auf, bei denen die Knochenhaut nicht durchbrochen wird und der Knochen nur eingestaucht ist, eine sogenannte Wulstfraktur oder Biegungsfraktur. Diese Brüche verursachen weniger Schmerzen und werden daher oft übersehen. Die Kinder kommen erst nach ein paar Tagen in die Praxis. Hier ist der Ultraschall sehr hilfreich, weil man auch kleinste kortikale Veränderungen und Achsabweichungen darstellen kann. Auch zeigt sich im Ultraschall oft ein Hämatom, was man im primären Röntgenbild nicht sieht, aber auf eine nicht dislozierte Fraktur hindeuten kann, zu deren Behandlung eine entsprechende Ruhigstellung mit Schiene oder Ähnlichem sinnvoll ist.

Die Sonografie kann also einerseits primär die Art und Form der Fraktur, den Grad der Dislokation etc. darstellen. Es können aber auch sekundäre Zeichen wie Hämatome, Blutergüsse, Weichteil- oder Bandverletzungen erkannt werden. Bei der typischen Sprunggelenksdistorsion, welche im Praxisalltag sehr oft vorkommt, kann die Sonografie als Primärdiagnostik ideal eingesetzt werden, da sie in einer Untersuchung nahezu alles abdecken kann.

Abb. 1: Röntgenaufnahmen des Handgelenks eines 7-jährigen Patienten

Abb. 2: Zum Vergleich: Ultraschallaufnahmen des Handgelenks desselben Patienten (rot= dorsal, blau=radial und grün=volar)

 

OPED: Ist eine Ultraschalluntersuchung auch geeignet, um Verletzungen auszuschließen?

Dr. Mortazawi: Ja, wenn z.B. nach einem Umknicktrauma im Ultraschall kein Bluterguss und keine weiteren Auffälligkeiten zu sehen sind, kann man davon ausgehen, dass eine Fraktur mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. In diesem Fall kann vorerst auf eine Röntgenaufnahme verzichtet werden, die kleinen Patienten können z.B. mit einer Orthese u/o Stützverband versorgt werden und kommen in 3-4 Tagen zur klinischen Kontrolle. Erkennt man primär ein Hämatom oder Weichteilverletzungen, ist eine Röntgenaufnahme sicherlich sinnvoll und indiziert, da natürlich die knöchernen Strukturen und auch die Gelenkkonfiguration in ihrer Gesamtheit abgebildet werden.

OPED: Gibt es außer Verletzungen noch andere Beschwerden bei Kindern, die mit Hilfe von Ultraschall untersucht werden?

Dr. Mortazawi: Kinder kommen auch mit nicht verletzungsbedingten Schmerzen oder Schwellungen in die Praxis. Hier können z.B. Ganglien, also Gelenkzysten (gehäuft die Kniegelenkszysten), Epidermalzysten, Hämangiome oder Lipome die Ursache sein, die man auf dem Röntgenbild natürlich nicht sehen kann. Mit dem Ultraschall kann man oft direkt und ohne großen Aufwand die genaue Ursache herausfinden. Was natürlich auch im Sinne der Eltern ist.

OPED: Welche Voraussetzungen müssen in den Praxen und Kliniken gegeben sein, damit die Sonografie ihren wichtigen Beitrag in der Diagnose leisten kann?

Dr. Mortazawi: Die richtigen Techniken sind leicht zu erlernen, der technische Aufwand ist nicht groß und es werden keine großen und teuren Geräte benötigt. Allerdings sind gute Anatomiekenntnisse eine wichtige Voraussetzung. Die Sonografie ist meines Erachtens am besten bei den Chirurgen und Unfallmedizinern aufgehoben, die sich mit der Anatomie gut auskennen und auch die weitere Behandlung z.B. Notwendigkeit einer Ruhigstellung einfacher beurteilen können. Aber auch Kinder- und Hausärzte können sich mit Ultraschall einen ersten Überblick verschaffen und dann entscheiden, ob der Patient zum Kinderchirurgen oder zum Chirurgen/Orthopäden überwiesen werden muss.

OPED: Das breite Spektrum eines Kinderchirurgen ist ja eine Besonderheit, wie sieht das in Ihrem Praxisalltag aus?

Dr. Mortazawi: Zu mir kommen Kinder und Jugendliche mit den unterschiedlichsten Beschwerden und Symptomen. Ein großer Teil sind natürlich Verletzungen jeglicher Art. Viele Patienten kommen aber auch mit organischen Beschwerden, Fehlbildungen, Magen-Darm-Erkrankungen, urologischen Problemen, Hautproblemen bis hin zum entzündeten Blinddarm. Gerade dieses breite Spektrum ist ein Alleinstellungsmerkmal der Kinderchirurgen. Während sich die Erwachsenenmedizin in der Vergangenheit immer mehr spezialisiert hat, behandelt hat man als Kinderchirurg weiterhin ein großes Spektrum, was diesen Beruf so abwechslungsreich und spannend macht. Diese „Besonderheit“ des Kinderchirurgen ist auch sinnvoll, denn Kinder sind eben keine kleinen Erwachsenen.  Die Gelenke, die Knochen, die ganze Anatomie ist anders als bei Erwachsenen und deshalb ist es sinnvoll und auch notwendig, die Behandlung von Kindern in die Hände eines Spezialisten zu legen.

OPED: Was ist Ihnen speziell als Kinderchirurg in der ambulanten Versorgung besonders wichtig?

Dr. Mortazawi: Mir ist es wichtig, für Kinder und Jugendliche auch ambulant, im Praxisalltag, eine Behandlung mit entsprechendem Knowhow und eine kindgerechte Versorgung zu gewährleisten.  Man darf nicht vergessen, dass sich der Praxisalltag in der Kinder- und Jugendmedizin von dem in der Erwachsenenmedizin unterscheidet. Nicht zu unterschätzen ist, dass die Kinder nicht allein, sondern mit ihren besorgten Eltern zum Arzt kommen. Man behandelt also nicht nur das erkrankte Kind, sondern meine Aufgabe als Kinderchirurg ist es auch, mit den Eltern zu sprechen und auf ihre Sorgen und Nöte einzugehen. Ein krankes Kind stellt für alle Beteiligten eine große Herausforderung dar!

OPED: Herr Dr. Mortazawi, wir danken Ihnen sehr für dieses Interview.

Das Interview haben wir am 13.09.2024 geführt.

Dr. Kiarasch Mortazawi ist Facharzt für Kinderchirurgie und als D-Arzt im Medizinischen Leistungszeitrum Dr. Ursel in Baden-Baden tätig.

Korrespondenzadresse: kinderchirurgie@mortazawi.de

Literatur

Website der DEGUM (Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin)

S2e-Leitlinie Fraktursonografie der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin, gültig vom 1.2.2023 bis 31.1.2028  

 

Lesen Sie zu diesem Thema auch folgenden Beitrag:

Fraktursonografie bei Kindern: Was kann sie zur Strahlungsreduzierung beitragen?