Nach Rotatorenmanschetten-OP: Von der Ruhigstellung bis zur Rückkehr in den Sport

02. Okt, 2023

Rupturen der Rotatorenmanschette (RM) des Schultergelenks zählen zu den häufigsten muskuloskelettalen Läsionen, die mit ausgeprägten Schmerzen und Bewegungseinschränkungen einhergehen können. Sie sind entweder auf traumatische Ereignisse oder degenerative Prozesse zurückzuführen. Während sich eine Sehnenrekonstruktion als erfolgreiches operatives Verfahren etabliert hat, werden u.a. die Vorteile der frühzeitigen passiven Bewegung gegenüber einer postoperativen Immobilisation diskutiert1.

Die Nachbehandlung nach einer Rotatorenmanschettenrekonstruktion  (RMR) hat einen erheblichen Einfluss auf die Funktionalität der Schulter. Sie ist jedoch auch mit Risiken verbunden und kann die Einheilung der Sehne beeinträchtigen. Unmittelbar nach Rekonstruktion der RM stellt sich daher die Frage, ob, wie und in welchem Ausmaß die frisch operierte Schulter bewegt werden darf. Die Kommission Rehabilitation der DVSE (D-A-CH Vereinigung für Schulter- und Ellenbogenchirurgie) hat daher 2016 in Zusammenarbeit mit den wichtigsten deutschen Physiotherapieverbänden ZVK und VPT und der Sektion Rehabilitation/Physikalische Therapie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) praktische, evidenzbasierte Empfehlungen zur postoperativen Nachbehandlung herausgegeben.1 Diese Empfehlungen der DVSE (Jung et al., 2016) bestehen aus einem Review evidenzbasierter Literatur und einer Umfrage unter 63 ausgewählten Expertinnen und Experten der DVSE. Wir haben in diesem Beitrag für Sie die wichtigsten Punkte aus dieser Publikation zusammengefasst.

Immobilisation und/oder frühe postoperative Bewegung?

Laut der Empfehlungen ist eine frühe passive postoperative Bewegung des Schultergelenks möglich, ohne dabei die Einheilung der Sehne zu gefährden oder gar eine erneute Ruptur zu verursachen. Allerdings sollte eine zu hohe Muskelaktivität oder Übungen gegen die Schwerkraft vermieden werden. Die volle Range of Motion (ROM) scheint mit Hilfe passiver Bewegung schneller zu erreichen sein. Aggressive frühe Übungen sollten ebenfalls unterlassen werden, weil sie einer Einheilung abträglich sein können.1

Lesen Sie dazu auch unsere Studienzusammenfassung Schultermuskulatur: Wie sich neuromuskuläre Aktivierungslevels je nach Bewegung unterscheiden.

Die Ruhigstellung und Lagerung als eine der ersten postoperativen Maßnahmen kann Schutz vor einer zu frühen aktiven Belastung bieten. Hierbei eignet sich die Anwendung einer Orthese oder Armschlinge. Auf Basis der Datenlage gibt es hinsichtlich der Dauer der postoperativen Ruhigstellung keine klaren Empfehlungen. Die Dauer der Immobilisation liegt aber in der Regel zwischen vier und acht Wochen entsprechend dem Zeitraum, den die Sehnen zur Einheilung benötigen.1

Von den befragten Expertinnen und Experten wird die Ruhigstellung in leichter Abduktion bevorzugt, da die Durchblutung der Sehne gesteigert wird und sich die Zugkraft auf die rekonstruierte Sehne reduziert. Der verminderte Zug an der Sehne hat laut tierexperimenteller Studien außerdem einen positiven Effekt auf die Ausrichtung der Kollagenfasern und die Elastizität der Sehne.1

Der deutsche Hilfsmittelkatalog sieht sowohl Armschlingen als auch Abduktionskissen mit einer variierenden Abduktion von 15–45° nach RMR vor. Laut der Befragung der Schulter-Experten der DVSE wird dies auch in der Praxis so gehandhabt, mit der Einschränkung, dass Abduktionskissen mit über 20° kaum zum Einsatz kommen. Die Einschätzung bezüglich der Dauer der Lagerung zeigte hier eine Spanne von 1–12 Wochen mit einem Mittelwert und Median von jeweils 4,9 bzw. 6 Wochen.1

Abb.: Bewegungsausmaß (ROM) – Normwerte für die aktiven und passiven Bewegungsausmaße (Neutral-0-Methode)

 

Des Weiteren kann durch Immobilisation die Muskelaktivität der RM reduziert werden. So deuten die Ergebnisse einer elektromyographischen Untersuchung von Alenabi et al. (2013) auf eine maximale Aktivierung der RM-Muskulatur von 10% hin, wenn Ellenbogen und Hand beübt werden, während die Schulter ruhiggestellt ist.1

Eine neue elektromyographische Studie (Grim et al. 20222) konnte diesen Effekt von Orthesen auf die Muskelaktivität bestätigen.

Physikalische Therapie: Kryotherapie empfohlen, Elektrotherapie und Bewegungsbad potenziell nützlich

Physikalische Therapien wie Kryotherapie, Elektrotherapie und Übungen im Bewegungsbad werden in der Nachbehandlung nach RMR oft eingesetzt. Basierend auf den Ergebnissen einer randomisierten kontrollierten Studie (Speer et al., 1996) ist die Kryotherapie, insbesondere zur Schmerzreduktion nach RMR, in einem Zeitraum von 3 Wochen nach OP empfohlen. Aufgrund mangelnder Evidenz spricht die DVSE keine Empfehlungen für Elektrotherapie, Beweglichkeitstraining im Bewegungsbad, Wärmeanwendungen, Massagen, therapeutischem Ultraschall, extrakorporaler Schockwelle und Hyaluronsäure-Injektionen aus. Aus einzelnen Studien könnte jedoch ein potenzieller Nutzen von Elektrotherapie und Training im Bewegungsbad abgeleitet werden. Diese Daten werden auch in der Befragung der DVSE-Expertinnen und Experten bestätigt.1

Fazit: Das 4-Phasen-Modell gibt einen Zeitrahmen vor und bietet eine Grundlage zur Ziabilitationsverlauf nach RMR. Allgemein betrachtet herrscht ein Konsens darüber, dass die postoperative Nachbehandlung sowohl Zeit benötigt als auch kontinuierlich gesteigert werden sollte.1

Continuous Passive Motion (CPM): Sicher, aber Wirksamkeit nicht bewiesen

CPM, eine kontinuierliche passive Bewegungstherapie mit einer motorisierten Bewegungsschiene, wird besonders häufig nach einer RMR eingesetzt. Dabei soll das Gelenk frühzeitig mobilisiert werden, ohne dass der Patient oder die Patientin eine aktive Bewegung ausführen muss. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine CPM-Therapie als sicher eingestuft werden kann und sich der Einsatz nicht negativ auf die Heilung auswirkt. Jedoch sprechen sie aufgrund der Studienlage keine Empfehlung für eine CPM-Therapie aus. Dies wurde auch in der Befragung bestätigt.1

Selbstübungen: Eigenständige Durchführung von Übungen der Patienten ist zu erwägen

Übungen, die von der Patientin bzw. dem Patienten eigenständig ausgeübt werden, stellen eine weitere, wichtige Rehabilitationsmaßnahme dar. Selbstübungen variieren hinsichtlich der Art der Übung, der Intensität, des Zeitpunktes und der Instruktion (Video/schriftliche Anleitung/Anleitung durch die Physiotherapeutin bzw. den Physiotherapeuten). Eine zitierte Studie (Roddey et al., 2002) hat hier keine signifikanten Unterschiede festgestellt, ob die Einweisung in die Selbstübungen persönlich vom Physiotherapeuten oder per Video erfolgt.

Obwohl es keine Level-I-Daten gibt, können aber auf Basis der vorhandenen Studien Selbstübungen in Erwägung gezogen werden. Gut die Hälfte der DVSE-Expertinnen und Experten erkennen Selbstübungen in der frühen postoperativen Phase als sinnvolle Maßnahme an, betonen aber, dass die primäre Instruktion durch eine Physiotherapeutin bzw. einen Physiotherapeuten erfolgen sollte. Dennoch können Selbstübungen, den Einschätzungen der Experten zu Folge, die physiotherapeutischen Einheiten nicht ersetzen.1

Physiotherapie: Zurück zu Beweglichkeit und Kraft mit dem 4-Phasen-Modell

Auf Basis der vorliegenden Evidenz und den DVSE-Expertenmeinungen konnte ein validiertes Grundkonzept der Nachbehandlung formuliert werden, welches sich in vier postoperative Phasen gliedert:

  • Phase 1: Ruhigstellung und assistive Bewegungsübungen (Tag 1 bis Woche 6)
  • Phase 2: Wiedererlangen aktiver Funktionen (6.-12. Woche)
  • Phase 3: Kraftaufbau und freie funktionelle Beweglichkeit im schmerzfreien Bereich (4.-5. Monat)
  • Phase 4: Funktionelles Training und Wiedereinstieg in den Sport (6.-7. Monat)1

 

Fazit

Das 4-Phasen-Modell gibt einen Zeitrahmen vor und bietet eine Grundlage zur Zieldefinition im Rehabilitationsverlauf nach RMR. Allgemein betrachtet herrscht ein Konsens darüber, dass die postoperative Nachbehandlung sowohl Zeit benötigt als auch kontinuierlich gesteigert werden sollte.1

Abb.: 4-Phasen-Modell der Nachbehandlung nach RMR (gekürzt und adaptiert nach Jung et al.1)

Verwendete Abkürzungen:

  • ABD: abduction
  • ADD: adduction
  • ADL: activity of daily living
  • AAROM: assistive-active range of motion
  • AR: Außenrotation
  • AROM: active range of motion
  • Flex: Flexion
  • IR: Innenrotation
  • PROM: passive range of motion

Quellenangaben

1 Jung, C., Tepohl, L., Tholen, R., Beitzel, K., Buchmann, S., Gottfried, T., Grim, C., Mauch, B., Krischak, G., Ortmann, H., Schoch, C. & Mauch, F. (2016). Rehabilitation nach Rotatorenmanschettenrekonstruktion. Obere Extremität. https://doi.org/10.1007/s11678-015-0346-9

2Grim, C., Baumgart, C., Schlarmann, M., Hotfiel, T., Javanmardi, S., Hoffmann, N., Kurz, E., Freiwald, J., Engelhardt, M. & Hoppe, M. (2022). Effects of different orthoses on neuromuscular activity of superficial and deep shoulder muscles during activities of daily living and physiotherapeutic exercises in healthy partici pants. Journal of Personalized Medicine, 12(12), 2068. https://doi.org/10.3390/jpm12122068