Nach Knieverletzung sicher und motiviert wieder fit werden – was können sensorgesteuerte Reha-Apps dazu beitragen?

07. Apr, 2023

Um die Beweglichkeit und Leistungsfähigkeit nach einer Verletzung oder OP wiederzuerlangen, sind physiotherapeutische Übungen zuhause, speziell in einem frühen Stadium, ein außerordentlich wichtiger Baustein. Speziell bei aktiven Sportlerinnen und Sportlern ist ein gezieltes und kontinuierliches Training notwendig, damit sie möglichst schnell wieder fit werden. In der Realität fällt es aber sogar motivierten Sportlern schwer, ihr tägliches Pensum an Übungen selbständig zuhause zu absolvieren. Abhilfe könnten hier digitale Tools schaffen, z.B. sogenannte Reha-Apps. In der kürzlich in PLOS DIGITAL HEALTH publizierten ORSOME-Studie wird aufgezeigt, wie eine sensorgesteuerte Reha-App zu einem konsequenten Training zuhause motivieren und zu einer schnelleren Genesung beitragen kann.

Das Wichtigste im Überblick

  • Sensorgesteuerte Reha-Apps sind eine Kombination aus Bewegungssensor und Software-Anwendung. Sie können von Patienten eigenständig genutzt werden und ergänzen die Standard-Physiotherapie.
  • Die ORSOME-Studie hat die Wirksamkeit einer sensorgesteuerten Reha-App bei Knieverletzungen untersucht.
  • Laut der Studie können sensorgesteuerte Reha-Apps zu einer höheren Adhärenz und zu einer höheren Trainingsintensität führen.

Was sollte eine Reha-App können?

Laut der ORSOME-Studie erhoffen sich Ärzte und Therapeuten von Reha-Apps folgende Vorteile: Einsparung von Ressourcen, zeitliche Flexibilität des Trainings, Reproduzierbarkeit von Tests, Erkenntnisgewinn über Verletzungen und Rehabilitation, leichterer Zugang zur Versorgung und höheres Engagement der Patientinnen und Patienten.

Ganz konkret wird erwartet, dass Reha-Apps Patienten dabei unterstützen, Tests und Übungen auch zuhause korrekt auszuführen.

Außerdem sollen die Apps in der Lage sein, die einzelnen Reha-Phasen abzubilden. Man kann das am Beispiel von Knieverletzungen gut verdeutlichen: In der Anfangsphase der Rehabilitation arbeitet man zuerst mit passiven und dann mit aktiven Kniegelenksbewegungen. In der nächsten Phase werden Übungen zur Verbesserung der funktionellen Stabilität, Koordination und Kraft durchgeführt. Erst mit fortschreitender Genesung folgen die anspruchsvolleren, dynamischen Übungen.

Es gibt außerdem eine Reihe von technischen und rechtlichen Anforderungen an Reha-Apps: Sie sollen hochwertig designt, wirksam, sicher und auf eine spezielle Indikation zugeschnitten sein, dazu kommen rechtliche Anforderungen, z.B. in Sachen Verbraucherschutz, Benutzerfreundlichkeit, Qualität der medizinischen Inhalte, sowie Patienten- und Datensicherheit.

ORSOME-Studie liefert neue Daten zur Nutzung einer sensorgesteuerten Reha-App

Um die Wirksamkeit und Sicherheit von Reha-Apps zu überprüfen, haben die Autoren der ORSOME-Studie* die Nutzungsmuster und -daten von 604 Patientinnen und Patienten herangezogen, die sich aufgrund einer Knieverletzung (überwiegend Ruptur des vorderen Kreuzbandes) einer OP unterzogen hatten. Die Patienten hatten in der Rehabilitationsphase die sensorgesteuerte Reha-App Orthelligent (OPED GmbH, Valley, Deutschland) für ihr Training zuhause verwendet.

Orthelligent ist ein in Deutschland zugelassenes Medizinprodukt der Klasse I und besteht aus den folgenden Komponenten:

  1. Spezifische Funktionstests und Übungsanleitungen für Hüfte, Knie und Fuß, die auf das jeweilige Verletzungsstadium abgestimmt sind.
  2. Ein Bewegungssensor, der dreidimensionale Bewegungen des Patienten bestimmen und analysieren kann. Der Sensor wird am Unterschenkel direkt unterhalb des Schienbeinkopfes angebracht.
  3. Eine Software, die auf Smartphones heruntergeladen werden kann.

So funktioniert Orthelligent

Die App ergänzt die standardmäßige Therapie bei einem Physiotherapeuten. Sobald die Software auf dem Smartphone des Patienten installiert ist, kann dieser die App eigenständig zuhause nutzen. Der Patient kann regelmäßig Tests durchführen, die den Bewegungsumfang (ROM/range of motion), die motorische Koordinationsfähigkeit und die Dynamik (Kraft/Geschwindigkeit) messen. Auf Grundlage dieser Messergebnisse identifiziert die Software die Defizite und erstellt einen individuellen Trainingsplan mit einzelnen Übungen, die auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt sind.

Die App macht sich außerdem zunutze, dass die Werte des verletzten Beins und die des gesunden Beins gemessen, miteinander verglichen und die Unterschiede dargestellt werden. Auf diese Weise ist die Auswertung patientenspezifisch und es muss beim Vergleich nicht auf Standardwerte zurückgegriffen werden.

Die Patienten können ihre aktuellen Fortschritte im Verlauf der Rehabilitation jederzeit nachverfolgen, z.B. anhand des FIT-Indexes.
Das motiviert die Patienten, die Übungen regelmäßig und korrekt auszuführen – und ermöglicht somit einen optimalen Trainingserfolg.

Der FIT-Index in der Reha-App Orthelligent entspricht dem Prinzip des bekannten LSI (Limb Symmetry Index).
Dieser Wert ist ein relativer Wert und stellt die Test-Ergebnisse des verletzten Beins im Vergleich zum gesunden Bein dar.
Je niedriger der FIT-Index ist, umso unterschiedlicher sind die beiden Beine und umso mehr Trainingsbedarf besteht, um Verletzungen zu vermeiden.
Je höher der Wert ist, umso besser. Im Idealfall beträgt er 100%, beide Beine sind auf demselben Leistungsstand. In der Nachbehandlung sind Werte zwischen 85% und 115% anzustreben.

Die Ergebnisse der ORSOME-Studie kurz zusammengefasst

Die Autoren der Studie kamen zu folgenden Ergebnissen:

  • Patienten, die die Reha-App in ihrer häuslichen Umgebung nutzten, zeigten eine signifikant höhere Adhärenz bezüglich der Trainingsempfehlungen im Vergleich zu den Patienten, die nur zur Physiotherapie gingen (86% [77–91] vs. 74% [68–82], p<0,05).
  • Die Nutzer der Reha-App hatten die empfohlenen Übungen zuhause mit höherer Intensität durchgeführt (p<0,05) als Patienten ohne Reha-App.
  • Der Sensor hat bei Patienten, die zuhause eigenständig trainierten, zuverlässig und korrekt den Rehabilitationsfortschritt ermittelt.
  • Die Ärzte und Therapeuten nutzten die Reha-App zur klinischen Entscheidungsfindung.
  • Alle integrierten Tests waren sicher, es gab keine unerwünschten Ereignisse.

Das Fazit der Autoren

Die App stellt ein valides und zuverlässiges Messinstrument zur Quantifizierung komplexer funktioneller Bewegungen dar und gibt Ärzten und Therapeuten Informationen an die Hand, die ihnen bei der Entscheidung helfen, für jeden Patienten ein maßgeschneidertes Training zusammenzustellen. Die sensorgesteuerte Reha-App kann einen entscheidenden Beitrag zu individualisierten und funktionellen Therapieansätzen in der orthopädischen Reha leisten.

*Höher J, Lischke B, Petersen W, Mengis N, Niederer D, Stein T, et al. (2023)

Sensor-based telerehabilitation system increases patient adherence after knee surgery

PLOS Digit Health 2(2): e0000175. https://journals.plos.org/digitalhealth/article?id=10.1371/journal.pdig.0000175