Kostenexplosion bei der Wundversorgung: Wie können Heilungsraten verbessert und Budgets entlastet werden?
17. Jun, 2024Neben dem hohen Leidensdruck und der starken Beeinträchtigung von Wundpatientinnen und -patienten geben die steigenden Kosten für die Behandlung akuter und chronischer Wunden seit Jahren Anlass zu großer Sorge. Eine retrospektive Kohortenanalyse aus dem Vereinigten Königreich [1], die auf den elektronischen Patientenakten von 3.000 britischen Patientinnen und Patienten mit akuten und chronischen Wunden basiert, bestätigt diese Entwicklung und belegt sie mit präzisen Daten.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Kosten für die Wundversorgung steigen in UK exorbitant an, aber auch in Deutschland liegen die Kosten schon bei ca. 8 Mrd. Euro pro Jahr.
- Die Entwicklung wird sich durch den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel noch verstärken.
- Intermittierende Impulskompression (IIK) kann durch ihre entstauende Wirkung zur Behandlung verschiedenster Wundtypen eingesetzt werden.
- Beim diabetischen Fußulcus empfehlen deutsche und internationale Leitlinien (z.B. die IWGDF-Leitlinie) nicht abnehmbare kniehohe Orthesen.
Die im renommierten British Medical Journal veröffentlichte Studie zeigt, dass im Untersuchungszeitraum zwischen dem 1. April 2017 und dem 31. März 2018 (Wirtschaftsjahr des NHS in UK) insgesamt 8,3 Mrd. Britische Pfund (GBP) für die Wundversorgung von rund 3,8 Mio. Patientinnen und Patienten ausgegeben wurden.[1]
In diesem Zeitraum konnten 70% der Wunden geheilt werden (89% der akuten Wunden und 49% der chronischen Wunden). Geschätzte 59% der chronischen Wunden wurden erfolgreich behandelt, wenn keine Anzeichen einer Infektion vorlagen, während nur 45% der chronischen Wunden, bei denen eine Infektion bestätigt oder vermutet wurde, heilten.[1]
Ein großer Teil der Kosten entfiel auf die Personalkosten für die Wundbehandlung: Der Studie zufolge waren im Untersuchungszeitraum insgesamt gut 136 Mio. Einsätze von Pflegekräften notwendig (dazu zählen zum Beispiel Hausbesuche von Pflegekräften, Materialien wie Wundauflagen oder Krankenhausaufenthalte).[1]
Die Daten wurden auch mit den Daten des Wirtschaftsjahres 2012/2013 verglichen. Dabei zeigte sich, dass die jährliche Prävalenz von Wunden zwischen 2012/2013 und 2017/2018 um 71% gestiegen war. Zudem war der Personalbedarf real um 48% gestiegen.[1]
Aufgrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels ist zu befürchten, dass die Kosten in den nächsten Jahren weiter steigen werden.
Wie ist die Situation in der Wundversorgung in Deutschland?
Nicht nur in UK, auch in Deutschland sind die Kosten für die Wundversorgung hoch und steigen weiter. Die Kosten werden konservativ auf ca. 8 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt. Die meisten der ca. 1,2 Mio. Patientinnen und Patienten sind nicht nur über 70 Jahre alt, sondern leiden auch an mehreren Erkrankungen gleichzeitig. Besonders problematisch erscheint, dass zwischen dem ersten Arzt-Patienten-Kontakt und der Diagnosestellung zu viel Zeit vergeht. Dies kann dazu führen, dass die Behandlung nicht rechtzeitig beginnt, sich die Heilungsphase verlängert und damit auch die Kosten steigen.[2]
Diabetisches Fußsyndrom: Hohe Kosten, niedrige Heilungsrate
Die UK-Studie ermittelte außerdem, dass 9% der insgesamt 3,8 Mio. behandelten Patienten an einem diabetischen Fußsyndrom (DFS) litten. Die Zahl der diabetischen Fußulzera ist seit der Studie von 2012/13 um dramatische 93% gestiegen.[1]
Die Kosten für die Behandlung von Wunden bei Diabetikern beliefen sich auf 1,28 Mrd. GBP, was etwa 15% der Gesamtausgaben für alle Wunden entspricht. Erschwerend kommt hinzu, dass DFS-Patienten die Gruppe mit den mit Abstand schwersten Begleiterkrankungen sind. Neben den ursächlichen endokrinologischen Befunden (99%) leiden 70% an kardiovaskulären, 62% an muskuloskelettalen, 60% an dermatologischen und 45% an respiratorischen Begleiterkrankungen, um nur die wichtigsten zu nennen.[1]
Auch die Heilungsrate ist bei diabetischen Fußulzera schlechter als bei anderen Wunden: Nur etwa die Hälfte (52%) der Wunden heilten innerhalb des Studienzeitraums ab. Nur bei venösen Beingeschwüren heilten noch weniger Wunden innerhalb eines Jahres ab (39%). DFS-Patienten liegen auch bei der Inanspruchnahme von Leistungen des NHS an der Spitze. Im untersuchten Jahr erhielten sie fast 83 Mio. Leistungen. Damit machen die Personalkosten für DFS etwa 17% der gesamten Leistungen in der Wundversorgung aus.[1]
Mit IPK bzw. IIK die Entstehung und Chronifizierung von Wunden reduzieren
Die IPK (Intermittierende Pneumatische Kompression) oder die modernere Variante IIK (Intermittierende Impulskompression) kann zur Behandlung verschiedenster Wundtypen eingesetzt werden. Durch ihre entstauende Wirkung kann sie bei akuten Ödemen der oberen und unteren Extremitäten, die durch eine Verletzung oder nach einer Operation entstanden sind, die Bildung von Wunden verhindern.
Bei Wunden mit vaskulärem Ursprung, die mehr als zwei Drittel der chronischen Wunden an den unteren Extremitäten ausmachen, können IPK- oder IIK-Geräte ebenfalls hilfreich sein. So kann die IIK die Symptome eines Ulcus cruris lindern und ein Fortschreiten der ursächlichen CVI (chronisch venöse Insuffizienz) verhindern.[3]
Auch die aktuelle AWMF-Leitlinie zur IPK empfiehlt neben anderen Indikationen den Einsatz der IPK bei schweren Formen der CVI, bei therapieresistenten Ödemen sowie beim Ulcus cruris venosum.[4]
Darüber hinaus ist die IIK bzw. IPK beim diabetischen Fußsyndrom (DFS) indiziert, auch wenn bereits ein Ulcus vorliegt. Beim DFS kommt es zu einer unzureichenden Sauerstoffversorgung des Gewebes, was zu einer gestörten Wundheilung und einer verminderten Schmerzwahrnehmung führt. Es konnte gezeigt werden, dass IIK/IPK die Mikrozirkulation und damit die Wundheilung beim DFS verbessern kann [5].
Moderne Druckentlastung bei diabetischen Wunden mit nicht abnehmbaren Orthesen
Beim DFS kommt es neben den Veränderungen der großen Gefäße auch zu funktionellen und strukturellen Veränderungen der kleinen Gefäße, die die Versorgung des Gewebes mit Nährstoffen beeinträchtigen. Diese Mangelversorgung begünstigt die Entstehung und erschwert die Heilung von Wunden.
Eine frühzeitige Behandlung von Druckstellen und Wunden kann verhindern, dass größere oder gar chronische Verletzungen und Wunden entstehen. Daher sollten bereits im Frühstadium, wenn sich die Haut rötlich verfärbt und einreißt, Maßnahmen zur Druckentlastung ergriffen werden. Sowohl deutsche als auch internationale Leitlinien (z. B. die IWGDF-Leitlinie) empfehlen hier nicht abnehmbare kniehohe Orthesen, die zur Wundversorgung von medizinischem Fachpersonal geöffnet werden können. Alternativ ist auch ein Vollkontaktgips (TCC) möglich. Abnehmbare Orthesen haben den Nachteil, dass sie zu Compliance-Problemen führen können, insbesondere wenn Patientinnen und Patienten aufgrund einer neuropathischen Erkrankung ihre Verletzungen nicht spüren. Sie sind daher nur Mittel der zweiten Wahl.
Literatur
[1] Guest, J. F., Fuller, G. W. & Vowden, P. (2020). Cohort study evaluating the burden of wounds to the UK’s National Health Service in 2017/2018: update from 2012/2013. BMJ Open, 10(12), e045253. https://doi.org/10.1136/bmjopen-2020-045253
[2] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/66620/Versorgung-von-Wunderkrankungen-kostet-acht-Milliarden-Euro; Nachricht vom 10.05.2016, abgerufen am 06.05.2024.
[3] Die Intermittierende pneumatische Kompressionstherapie (IPK) in der Behandlung von Patienten mit Ulcus cruris. Fall des Monats von Dr. med. Thomas Eberlein, erschienen im eurocom-Newsletter vom März 2022. Abgerufen am 13.05.2022 unter https://www.eurocom-info.de/service/newsletter-archiv/
[4] Schwahn-Schreiber, C., Breu, F.X., Rabe, E. et al. S1-Leitlinie Intermittierende Pneumatische Kompression (IPK, AIK). Hautarzt 69, 662–673 (2018). https://doi.org/10.1007/s00105-018-4219-1
[5] M. E. Gschwandtner, S. Maric, T. Maca, A. Willfort, H. Ehringer, E. Minar; Effect of foot impulse technology in patients with diabetic or ischemic ulcers. Internationaler Ausschuss für Angiologie, Gent Belgien, 2000 (A68.2).