Diabetisches Fußgeschwür: Welche Druckentlastung ist am wirksamsten?

24. Mär, 2023

Laut des Gesundheitsberichts 2023 der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) waren 2022 ca. 8,7 Millionen Menschen in Deutschland an einem Typ-2-Diabetes erkrankt. Nicht mit gezählt ist hierbei eine Dunkelziffer von geschätzten zwei Millionen Menschen, die zwar an Diabetes erkrankt sind, aber in der Statistik nicht erfasst werden. Die DDG geht außerdem davon aus, dass die Anzahl der Diabetiker weiter wachsen wird. Bis 2040 sollen in Deutschland ca. 12,3 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt sein.1

 

Unter den Folgeerkrankungen eines Diabetes ist das Diabetische Fußsyndrom (DFS) besonders folgenschwer, denn es beeinträchtigt die Patienten nicht nur immens in ihrer Mobilität, sondern kann zu einem Verlust der Eigenständigkeit, Arbeitsfähigkeit und Lebensqualität führen. Ein DFS kann im schlimmsten Fall zu einer Amputation und in der Folge zu einem hohen Sterberisiko führen, denn lt. des Gesundheitsberichts 2023 der DDG liegt die 5-Jahres-Mortalität

  • beim Charcot-Fuß bei 29,0%,
  • beim diabetisches Fußgeschwür bei 30,5%,
  • bei Amputationen mit Teil-Fußerhalt (minor) bei 46,2%
  • und bei Amputationen ohne Fußerhalt (major) bei 56,6%.1

Wenn mehr als die Hälfte der Diabetiker, bei denen eine DFS-bedingte hohe Amputation vorgenommen werden musste, innerhalb von 5 Jahren nach der Amputation versterben, so ist dies in der Tat besorgniserregend.

Und selbst wenn ein DFS abheilt und erstmal keine Amputation notwendig wird, kann man hier nicht von Heilung an sich sprechen. Stattdessen spricht man von einem „aktiven DFS“ und einem „nicht-aktiven DFS“, denn die Rezidiv-Häufigkeit ist sehr hoch, im ersten Jahr liegt sie bei ca. 30%, nach drei Jahren schon bei 50% und nach zehn Jahren bei 70%.1

Die Hauptursache für ein DFS ist die diabetische Polyneuropathie, welches das Schmerz-, Temperatur-, Lage- und Druckempfinden der Patienten außer Kraft setzt und dazu führt, dass die Betroffenen kein Schmerzempfinden und keine Schutzreflexe mehr besitzen. Bei einer Polyneuropathie liegt daher das Hauptaugenmerk auf der Vermeidung jeglicher Verletzungen, einerseits durch Eigenkontrolle der Patienten, aber auch durch Disease-Management-Programme (DMPs), die vom Gesetzgeber aufgesetzt wurden. Teil dieser Programme sind auch der mindestens einmal jährliche „Fußcheck“, durch den Risikofüße rechtzeitig aufgespürt werden können. 1

Ist es aber doch zu einem akuten Fußulkus gekommen, gilt es, schnell zu handeln. Neben der Behandlung internistischer Grunderkrankungen, der Infektionsbehandlung und dem Wunddebridement kommt hier der Druckentlastung eine besondere Bedeutung zu, damit Ulzera verheilen und somit Amputationen verhindert werden können.1

Welche Methode ist aber die beste, um plantare Fußgeschwüre zu entlasten?

Eine große Übersichtsstudie (2021) von Peter A. Lazzarini et al. von der Queensland University of Technology in Brisbane (Australien)2 hat sich der Frage angenommen, wie bei diabetischen Fußulzera (DFU) am wirksamsten eine Druckentlastung erzielt werden kann. Zu diesem Zweck wurden die besten verfügbaren Daten aus mehr als 160 Studien ausgewertet (davon ca. 40 kontrollierte Studien), die sich mit den verschiedenen Entlastungstherapien, deren Anwendung in der klinischen Praxis, und den allgemeinen Hindernissen und Lösungen für den Einsatz dieser Behandlungen befassen – um daraus Best-Practice-Empfehlungen zu entwickeln.2

Dabei wurden verschiedene Aspekte berücksichtigt: Abheilung des DFU, plantarer Druck, körperliche Aktivitäten der Patienten, Compliance der Patienten, Patientenzufriedenheit, Kosteneffizienz, unerwünschte Ereignisse, Kontraindikationen und Unverträglichkeitsfaktoren.2

Als beste Entlastungstherapien wurden diejenigen identifiziert, die folgende Vorteile in sich vereinen: Maximale Verringerung der hohen Belastung des Fußsohlengewebes bei gleichzeitiger Risikominimierung bezüglich Patientenzufriedenheit, Kosten und unerwünschter Ereignisse.2

Kniehohe, nicht abnehmbare Entlastungshilfen sind der Goldstandard bei plantaren Fußgeschwüren

Die Therapie der ersten Wahl (Goldstandard), die in allen Leitlinien für die Behandlung einer plantaren DFU empfohlen wird, ist die Verwendung von kniehohen, nicht abnehmbaren Entlastungshilfen wie TCC (Total Contact Cast) oder Walker. Diese Empfehlung basiert auf fünf Meta-Analysen, in denen 14 Studien mit insgesamt 758 Teilnehmern ausgewertet wurden, die nicht abnehmbare mit abnehmbaren Entlastungshilfen verglichen hatten. Das Ergebnis: Fußgeschwüre heilen vollständiger und schneller ab, wenn Patienten nicht abnehmbare Entlastungshilfen erhalten, da diese ständig getragen werden und somit wirksamer sind. Abgesehen von den positiven Effekten einer höheren Compliance, haben die nicht abnehmbaren mit den abnehmbaren TCCs und Walkern in allen anderen Aspekten der Studie in etwa gleich abgeschnitten. Lediglich wurde bei den nicht abnehmbaren Entlastungshilfen eine höheren Kosteneffizienz festgestellt.2

Im Vergleich zu allen anderen Optionen (z.B. therapeutische Schuhe) schneiden die kniehohen, nicht abnehmbaren Entlastungshilfen besser ab, was Abheilung, plantare Druckbelastung, Gewichtsbelastung, Compliance und Kosteneffizienz betrifft. Die Wirksamkeit von Entlastungshilfen scheint sich des Weiteren noch zu erhöhen, wenn zusätzliche mechanische Features eingearbeitet sind, wie z. B. individuell angepasste Einlagen oder Rocker-Sohlen.2

Daher besteht ein großer Konsensus, dass kniehohe, nicht abnehmbare Entlastungshilfen das Mittel der Wahl bei der Heilung der plantaren DFU ist.2

Trotz guter Evidenzlage werden die nicht abnehmbaren Entlastungshilfen beim DFS selten verschrieben und genutzt

Obwohl es einen großen wissenschaftlichen Konsens gibt, werden die als Goldstandard geltenden kniehohen, nicht abnehmbaren Entlastungshilfen immer noch selten von Ärzten verschrieben und von den Patienten nur in geringem Maße akzeptiert bzw. genutzt. Häufig beruht diese Zurückhaltung auf veralteten Informationen und Fehleinschätzungen, die durch aktuelle Erkenntnisse weitgehend ausgeräumt sind. Die Autoren empfehlen daher dringend weitere Studien, um die große Lücke zwischen wissenschaftlicher Evidenz und geringer Nutzung dieser Entlastungshilfen zu schließen. Schließlich müssen wir alle zur Verfügung stehenden Mittel ausnützen, um die hohe Krankheitslast durch die steigende Anzahl an Diabetikern in Zukunft zu reduzieren.2

1 Epidemiologie des Diabetes in Deutschland, Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2023, S. 10-15: Gesundheitsbericht_2023_gesamt_offene_Datei.pdf

2 Knee-High Devices Are Gold in Closing the Foot Ulcer Gap: A Review of Offloading Treatments to Heal Diabetic Foot Ulcers; Peter A. Lazzarini and Gustav Jarl, Medicina 2021, 57(9), 941; https://doi.org/10.3390/medicina57090941