Fraktursonografie bei Kindern: Was kann sie zur Strahlungsreduzierung beitragen?

14. Jul, 2023

Im Februar dieses Jahres hat die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) gemeinsam mit acht weiteren Fachgesellschaften eine neue S2e-Leitlinie zur Fraktursonografie1 mit dem Schwerpunkt Kindersonografie veröffentlicht. Wir möchten dies zum Anlass nehmen, einen Blick auf die Herausforderungen bei der Diagnose von Frakturen und anderen Verletzungen bei Kindern und Jugendlichen zu werfen.

Das Wichtigste im Überblick

  • Unterschiedliche Strahlungsempfindlichkeit je nach Tumorart
  • Warum reagieren Kinder und Jugendliche empfindlicher auf Strahlung?
  • Wie kann speziell bei Kindern die Sonografie noch häufiger Röntgenaufnahmen ersetzen?

Schon seit Langem ist bekannt, dass Kinder und Jugendliche besonders empfindlich gegenüber Röntgenstrahlen sind. Daher besteht bei dieser Patientengruppe ein allgemeiner Konsens, auf Ultraschall-Untersuchungen auszuweichen, wenn dies möglich ist. Die Fraktursonografie an sich und die Ultraschallgeräte haben sich in den letzten 20 Jahren maßgeblich weiterentwickelt, sodass es einfacher geworden ist, auf Röntgenaufnahmen zu verzichten.

Unterschiedliche Strahlungsempfindlichkeit bei Erwachsenen und Kindern

Laut Umweltbundesamt2 reagieren Kinder und Jugendliche unterschiedlich auf Röntgenstrahlen als Erwachsene. Nach einer Strahlenexposition sind sie viel stärker gefährdet, im Laufe des Lebens eine Tumorerkrankung zu erleiden als strahlenexponierte Erwachsene. Diese Gefährdung ist aber unterschiedlich je nach Tumorart:

  • Bei Kindern und Jugendlichen besteht für ca. 25% der Tumoren ein signifikant erhöhtes strahlungsinduziertes Krebsrisiko, z.B. bei Leukämien, Schilddrüsenkrebs und Gehirntumoren.
  • Bei anderen Tumorarten (z.B. in Darm, Leber oder Blase) ist das strahlungsinduzierte Krebsrisiko bei Kindern und Jugendlichen genauso groß wie bei Erwachsenen.
  • Bei einigen wenigen Tumorarten haben exponierte Kinder und Jugendliche sogar ein niedrigeres Risiko zu erkranken, z.B. beim strahlungsinduzierten Lungenkrebs.2

Abb. 1: Durchschnittliche Strahlungsmengen durch Röntgenaufnahmen und CT nach Körperregion (Grafik adaptiert nach Patienteninformation 2020 des Fachverbandes für Strahlenschutz e.V.3)

Warum sind Kinder und Jugendliche generell vulnerabler als Erwachsene?

Die vier Hauptgründe, warum Kinder und Jugendliche empfindlicher auf Strahlen reagieren:

  • Kinder und Jugendliche haben eine längere Lebenserwartung, das führt insgesamt zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens eine Tumorerkrankung zu erleiden.
  • Die Zellteilung bei Kindern und Jugendlichen läuft während des Wachstumsprozesses wesentlich schneller ab. Teilungsaktive Zellen reagieren empfindlicher auf Strahlungen als sich langsam vermehrende Zellen.
  • Kinder und Jugendliche durchleben sensible hormonelle Entwicklungsphasen (z.B. in der Pubertät).
  • Sie haben außerdem ein noch unreifes Immunsystem, was sie ebenso empfindlicher macht.2

Sonografie – was sie kann und was nicht

Inzwischen ist die Sonografie dazu geeignet, mit hoher Sensitivität und Spezifität Frakturen zu erkennen und kann daher bei manchen Frakturtypen Röntgenaufnahmen ersetzen. Des Weiteren kann mit Hilfe von Ultraschall geklärt werden, ob eine Indikation für MRT oder Schnittbilddiagnostik angezeigt ist. Allerdings gibt es auch Knochenbrüche, wo eine primäre Schnittbilddiagnostik unverzichtbar ist (z.B. bei polytraumatisierten oder instabilen Patienten).1

Bei der Entscheidung zwischen Röntgen und Ultraschall soll das sogenannte ALARA-Prinzip angewendet werden. ALARA steht für „As Low As Reasonably Achievable“ und ist ein grundsätzliches Prinzip des Strahlenschutzes. Es bedeutet, dass die Strahlenbelastung von Menschen so gering wie möglich zu halten ist und Röntgenstrahlen einzusparen sind, wenn man bei gleicher Sicherheit und Effizienz auf andere Methoden zurückzugreifen kann, die das gleiche Ergebnis erbringen.1

Abb. 2: Eine Ultraschalluntersuchung kommt nicht nur ohne Strahlung aus, sondern ist für Kinder auch meistens angenehmer.

 

Aber es gibt noch weitere Argumente, wieso die Sonografie speziell bei Kindern eine wertvolle Alternative bzw. Ergänzung darstellen kann:

  • Zeitersparnis: Röntgenaufnahmen erfordern oft eine Überweisung in eine röntgenologische Praxis, das kann Diagnose und Behandlung verzögern.
  • Qualität der Aufnahmen: Speziell bei traumatischen Verletzungen und starken Schmerzen kann es vor allem bei Kleinkindern schwierig sein, brauchbare Röntgenaufnahmen zu erhalten.
  • Weniger Schmerzen: Die Kinder erleiden bei einer Ultraschalluntersuchung in der Regel weniger Schmerzen, denn die verletzte Extremität muss nicht speziell gelagert werden und kann mit dem Ultraschallkopf umfahren werden. Des Weiteren kann das Ultraschallgel kühlend und schmerzstillend wirken.
  • Verfügbarkeit: Ultraschallgeräte sind in fast allen Praxen vorhanden.1

Die DEGUM empfiehlt folgende Mindestanforderungen bei der Durchführung von Fraktursonografien in Praxen, Ambulanzen und Krankenhäusern:

Es sollten Ultraschallgeräte von mindestens mittlerer Qualität und hochauflösendem Linearschallkopf vorhanden sein. Die Möglichkeit einer standardisierten Dokumentation sollte gegeben sein. Außerdem sollten lt. DEGUM die Ärztinnen und Ärzte ein spezifisches Training (Kurs oder Hospitation) absolviert haben und über die entsprechende Motivation verfügen.1

Fazit und Take-Home Message

Laut DEGUM kann die Knochensonografie in vielen Fällen ohne Einbußen der diagnostischen Testgüte die Röntgendiagnostik ersetzen. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Qualitätskriterien eingehalten werden.1

1 AWMF 085-003 S2e Leitlinie, Fraktursonografie, Ackermann O, Fischer C, Grosser K, Hauenstein C, Kluge S, Moritz JD, Berthold D, Tesch C, von Kaisenberg C. (2023)

https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/085-003

2 Strahlenschaden und Alter – Warum Kinder besonders empfindlich auf Strahlung reagieren. Maria Gomolka, Bundesumweltamt (2021) https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/4031/publikationen/artikel_07_dnk1a.pdf

3 Patienteninformation: Nutzen und Risiko medizinischer Strahlenanwendungen in der Diagnostik, Fachverband für Strahlenschutz e.V., Arbeitskreis Medizin AKMED (2020)

https://www.fs-ev.org/fileadmin/user_upload/07_Wissenswertes/Strahlenanwendungen_Diagnostik_FSeV_2021.pdf

 

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