Patientenfall: Funktionsbasierte Nachbehandlung bei Knieverletzung
25. Apr, 2023Dr. med. Thomas Stoffels, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
Eine schwere Knieverletzung ist der Albtraum eines jeden Sportlers. Eine Operation, monatelange Reha, Trainingsausfall und die Ungewissheit, ob und wann das „Comeback“ gelingt. Prävention und Rehabilitation nehmen daher, neben der operativen Therapie, einen immer höheren Stellenwert in der Behandlung schwerer Gelenksverletzungen ein. Sportmedizinische Studien konnten zeigen, dass Gelenkverletzungen durch spezielle Aufwärmprogramme verhindert werden können.
Die klassische Rehabilitation und Prävention wird zunehmend durch digitale Hilfssysteme, internetbasierte Rehabilitations- und Präventionsprogramme als auch sensorbasierte Applikationen unterstützt. Tests und Übungsauswahl sollen Rehabilitation und sportspezifisches Training ergänzen, das Training zu Hause erleichtern und als Orientierung dienen.
Problembeschreibung
Am Beispiel eines 31-jährigen Läufers, welcher seit eineinhalb Jahren rezidivierende Schmerzen im rechten Kniegelenk hatte, stellen wir hier den Einsatz eines digitalen, sensorgestützten Rehabilitationsprogramms vor.
Die sportliche Belastung konnte der Patient in den letzten anderthalb Jahren aufgrund immer wieder eintretender Schmerzen im rechten Kniegelenk nicht erhalten.
Mehrfach durchgeführte MRT zeigten ein Knochenmarködem in der medialen Femurkondyle. Eine von Kollegen durchgeführte Arthroskopie mit Resektion einer Plica mediopatellaris, fünfmalige Stoßwellentherapie und kontinuierliche Physiotherapie brachten keine Befundverbesserung. Das nach Erstvorstellung in unserer Praxis durchgeführte MRT zeigte eine unspezifische osteochondrale Läsion mit begleitendem subchondralem Knochenmarködem.
Bild 1: MRT des Knies, Sequenz T2 sagittal: osteochondrale Läsion an der medialen Femurkondyle.
© Dr. Thomas Stoffels
Bild 2: MRT des Knies, Sequenz T2 coronal: osteochondrale Läsion an der medialen Femurkondyle.
© Dr. Thomas Stoffels
Versorgung
Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile der verschiedenen konservativen und operativen Therapieoptionen und der verschiedenen Verfahren zur Knorpelrekonstruktion fiel die Entscheidung auf einen autologen Knorpel-Knochen-Transfer (OATS).
Dieses einseitige Verfahren ermöglicht bei begrenzten osteochondralen Defektgrößen eine schnelle Regeneration und optimale Defektrekonstruktion mit autologem hyalinem Knorpel.
Bei der OATS-Technik wird mit einer Knorpel-Knochen-Stanze ein 10 mm Durchmesser großer und 18-20 mm tiefer Knorpelknochenstandzylinder an einer wenig belasteten Stelle im Randbereich der Trochlea femoris entnommen und mit dem Defekt in der Hauptbeleuchtungszone der medialen Femurkondyle getauscht.
Ein weiterer Vorteil dieses operativen Verfahrens ist, dass, im Gegensatz zu anderen knorpelrekonstruktiven Verfahren, keine lange Ruhigstellung und Entlastung des Kniegelenks nötig ist. Der Patient kann daher schon zwei Wochen nach der Operation bei freiem Bewegungsumfang in die schmerzadaptierte Vollbelastung übergehen.
Bild 3: Intraoperatives Bild der medialen Femurkondyle: subchondraler ossärer Defekt bei optisch intakter Knorpeloberfläche an der medialen Femurkondyle. Der Tasthaken kann die Knorpeloberfläche in den ossären Defekt eindrücken.
© Dr. Thomas Stoffels
Bild 4: Intraoperatives Bild der medialen Femurkondyle: Runde Markierung des Defektes.
© Dr. Thomas Stoffels
Postoperative Unterstützung durch digitales Rehabilitationsprogramm
Der Patient wurde im Rahmen der gesamten Früh- und Spätphase der postoperativen Rehabilitation durch ein digitales, sensorgestütztes Rehabilitationsprogramm unterstützt.
Radfahren und Schwimmen waren schon vier Wochen postoperativ schmerzfrei möglich. Sportliche Laufbelastung begann ab der sechsten postoperativen Woche und der Übergang zur sportlichen Vollbelastung war dem Patienten nach zehn Wochen möglich.
Digitale Anwendungen bieten Patienten inzwischen eine heimbasierte, sensorgesteuerte Funktionstestung und ein adaptiertes gezieltes rehabilitatives Training. Diese speziell programmierten Apps leiten zu den verschiedenen Bewegungsübungen und -tests an. Ein dazugehöriger Sensor erfasst Bewegungsparameter, die App analysiert diese, wertet sie aus und gibt anschließend ein direktes Feedback. Die Analysen und Auswertungen geben Rückschlüsse zum individuellen Heilungs- und Rehabilitationsverlauf des Patienten.
Der Einsatzbereich ist sowohl die konservative Rehabilitationstherapie von Band-, Knorpel- und Meniskusverletzungen als auch insbesondere die heimbasierte Unterstützung der Physiotherapie und Rehabilitation durch zusätzliche Eigenübungen.
Hinweis: Erstveröffentlichung dieses Patientenfalles in „Orthopädie aktuell 12/2022“, herausgegeben von eurocom e. V., www.eurocom-info.de.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Thomas Stoffels, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
OC Stadtmitte, Friedrichstraße 63, 10117 Berlin
Email: stoffels@oc-stadtmitte.de